Die Malling-Hansen Schreibkugel

Dieter Eberwein

Geschichte, Technik, Forschungsergebnisse

Vortrag in gekürzter Fassung von Dieter Eberwein am 30.09.2006, zum 25-jährigen Jubiläum des IFHB in Wasselonne/Frankreich.

 

Guten Tag meine Damen und Herren.

 

Ich freue mich ganz besonders heute, zur Jubiläumsfeier des IFHB, einen Vortrag über Malling-Hansen und dessen Schreibkugeln sowie meinen Forschungsarbeiten zu Nietzsches Schreibkugel halten zu dürfen. Ich beschäftige mich seit meiner Kindheit mit der Reparatur und Restauration von technischen Objekten. Nach meiner Ausbildung zum Feinmechaniker wurde es mir auch möglich, die Handschrift des Konstrukteurs zu lesen und mich in ihn hineinzuversetzen. So habe ich vor einiger Zeit begonnen, die Anfänge der Schreibmaschinen­entwicklung zu ergründen und fragte mich: Wer ist der Erfinder der Schreib­maschine?

 

Die Suche nach der ersten funktions- und marktfähigen Schreibmaschine führte mich weit zurück in die Vergangenheit, und ließ mich Friedrich Nietzsche begegnen, der im Jahr 1881 ebenso nach ihr gesucht hatte.

 

Der gerade 35-jährige Philosoph Friedrich Nietzsche musste in dieser Zeit  wegen zunehmender Sehschwäche seine Baseler Professur aufgeben und fortan nach einer Schreibhilfe suchen. Anfang Februar 1882 war es so weit, dass Nietzsche voller Begeisterung Feder und Tintenfass gegen eine Malling-Hansen Schreibkugel aus Kopenhagen tauschen konnte.

 

Rasmus Malling-Hansen, der Erfinder der Schreibkugel, war Pastor und arbeitete zu dieser Zeit als Direktor an der königlichen Taubstummen-Schule in Kopenhagen, wo in diesem Jahr die Gesell­schaftsgründung der < International Rasmus Malling-Hansen Society> stattfand.

 

Rasmus Malling-Hansen. Drawing from the Danish newspaper "Nutiden" from 1886.

Wer war Malling-Hansen?

 

Hans Rasmus Johan Malling-Hansen wurde am 15.09.1835 in Hunseby auf Lolland in Dänemark geboren. Er starb am 27.09.1890 in Kopenhagen. Malling-Hansen arbeitete ab 1859 als Lehrer an der Taubstummenschule in Kopenhagen und wurde 1865 Leiter dieser Schule. Noch im selben Jahr begann er mit der Konstruktion einer Schreibmaschine, die im Winter 1867/68 fertig war und produziert werden sollte. Diese Aufgabe übernahm die Werkstätte von Christopher Peter Jürgensen in Kopenhagen.

 

Die Patentanträge von 1870 bis 1878 zeigen den unermüdlichen Innovator Malling-Hansen in seinem Element. Diverse bisher unbekannte Fotos und Zeichnungen aus der Entwicklungsphase der Schreibkugel sowie Skizzen von Pierre Foucaulds Blinden-Maschine aus dem Malling-Hansen Nachlass machen die Malling-Hansen Forschung interessant und zugleich spannend.

 

Malling-Hansen ließ die verschiedenen Varianten der Schreibkugel z. T. zeitgleich in Kleinserien fertigen, wobei die Anordnung der Tasten sowie länderspezifische Buchstaben und Zeichen auf Wunsch der Kunden gestaltet wurden. Es gab spezielle Modelle für die Telegraphie mit Morse-Papierstreifen, ein kryptisches Modell, ebenso einige Modelle für Blinde. Weil Malling-Hansen zudem ein guter Freund von Moldenhauer, dem Direktor der Königlichen Blindenschule in Kopenhagen war, entstand der Mythos, die Malling-Hansen-Schreibkugel wäre für Blinde entwickelt worden. Dies ist aber falsch. Malling-Hansen wollte, gemäß überlieferter Aufzeichnungen, mit seinen Schreibmaschinen die Stenographie in den Parlamenten ersetzen und die Büros dieser Welt damit ausstatten. Doch in den Anfangsjahren der Schreibmaschinenentwicklung war es schwerer, eine Maschine zu verkaufen, als eine zu bauen. Es gab noch keinen Markt für dieses Produkt, dafür aber viele Hemmnisse und Vorurteile.

 

Heute zählt die Malling-Hansen Schreibkugel nicht nur zu den wertvollsten Schreibmaschinen, sie ist nach ästhetischen Gesichtspunkten wohl auch die schönste Schreibmaschine, die je gebaut wurde.  

 

Nietzsche zählt zu den prominentesten Kunden von Malling-Hansen, obwohl seine Schreibmaschine, mit der Nummer 125, durch einen Reiseschaden stark beeinträchtigt, ihre wahre Qualität und Schönheit nicht mehr unter Beweis stellen konnte.

 

Das folgende Schreibmaschinengedicht verdeutlicht Nietzsches Beziehung zu der Malling-Hansen-Schreibkugel:


The front cover of Dieter Eberwein's book.

„SCHREIBKUGEL IST EIN DING GLEICH MIR: VON EISEN

 

UND DOCH LEICHT ZU VERDREHN ZUMAL AUF REISEN.

 

GEDULD UND TAKT MUSS REICHLICH MAN BESITZEN

 

UND FEINE FINGERCHEN UNS ZU BENUETZEN."

 

Was mit der Schreibmaschine auf der Reise genau passierte, was später repariert wurde und wie Nietzsches Schreibkugel die vergangenen Jahrzehnte überstanden hatte, konnte ich während der Restauration der Schreibkugel im Jahr 2003 untersuchen und in dem Buch „Nietzsches Schreibkugel“ veröffentlichen.

 

Weil alle früheren Reparaturen auch ihre Spuren in den Typoskripten hinterließen, begann ich mit einer Typoskriptanalyse und entwickelte später neue Methoden, die sogar die Anonymität der Maschinenschrift aufheben können.

 

Aber was wäre passiert, wenn Nietzsches Schreibkugel ohne Reiseschaden angekommen wäre? … wenn er das Blindschreiben erreicht und seine Schreibleistung damit vervielfacht hätte?

 

Es wäre nicht nur für die Philosophie ein beträchtlicher Gewinn gewesen.